Der Vorsitzende der Strafkammer, Richter Günther Heydner, betonte in seiner
Urteilsbegründung, die vorgebliche Gewalt sei nicht nachweisbar gewesen. Außerdem
habe das Gericht Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Opfers: Die Frau habe sich bei
ihren Aussagen vor der Polizei, dem Vernehmungsrichter und dem Gericht immer
wieder in Widersprüche verwickelt. "Ihre Aussage ist nicht konstant", sagte der
Kammervorsitzende. Die Tochter hingegen hatte ihrem Vater in dem sechstägigen
Prozess vorgeworfen, sie mit Drohungen und Schlägen so eingeschüchtert zu haben,
dass sie jahrzehntelang nicht den Mut gefunden habe, sich zu offenbaren. Auf der
Grundlage ihrer Aussagen hatte die Staatsanwaltschaft dem Familienvater zunächst
knapp 500 Vergewaltigungen über 34 Jahre hinweg vorgeworfen, diese Zahl aber
später auf 247 reduziert. Wegen der Verjährungsfrist von 20 Jahren waren Vorfälle
vor 1991 nicht angeklagt. Renate B. bezeugte erstmals als Zwölf- oder Dreizehnjährige
von ihrem Vater vergewaltigt worden zu sein. Sie bekam drei behinderte Söhne von
ihm, von denen zwei schon als Kleinkinder starben. Der Richter sah nun zehn Fälle des
"einvernehmlichen" Beischlafs als nachweisbar an, darüber hinaus seien die Vorfälle
unklar. «Wenn es Konflikte gegeben hätte, das hätte man doch gemerkt», sagte
Heydner. Er betonte aber, dass die Kammer durchaus davon ausgeht, dass Renate B.
von ihrem Vater erstmals vor 34 Jahren vergewaltigt wurde. «Diese Frau hat allem
Anschein nach eine schlimme Kindheit in einem schlimmen Elternhaus gehabt. Sie
wurde in jungen Jahren mit Dingen konfrontiert, die alles andere als schön waren»,
betonte der Richter und ergänzte: «Aber darum geht es nicht». Denn das Gericht
habe nachweisen müssen, dass sich Adolf B. auch nach 1991 noch an seiner Tochter
mit Gewalt vergangen habe. «Das können wir nicht», erklärte Heydner. Als Haupt-
argument führte er widersprüchliche Aussagen des Opfers zu wesentlichen Ereignissen
an. «Nach alledem haben wir keinen Schluss daraus ziehen können, dass Renate B.
in der nicht verjährten Zeit tatsächlich mit Gewalt zum Geschlechtsverkehr gebracht
wurde», sagte er. Das Gericht gehe vielmehr davon aus, dass sich - nach
anfänglichem Missbrauch - über die Jahre gewisse Verhaltensweisen eingeschliffen
hätten und sich Renate B. damit abgefunden habe, dass ihr Vater Sex mit ihr
wolle. Sie habe die Aussicht gehabt, dafür eines Tages das gemeinsame Wohnhaus
zu erben. Erst als ihr die Eltern Anfang 2011 klar gemacht hätten, dass sie ihr
Erbe mit den Brüdern teilen müsse, habe sie sich ausgenutzt gefühlt und alles
aufgedeckt. «Das mit dem Erbe des Hauses war für sie entscheidend», fasste
Heydner zusammen, «nicht die Übergriffe des Vaters». Adolf B., der die sexuelle
Beziehung zu seiner Tochter zugegeben hatte, wurde lediglich wegen Inzests in
zehn Fällen für schuldig gesprochen. Er muss hierfür zwei Jahre und acht Monate
in Haft. Ein Urteil, das der 69-Jährige erleichtert hinnahm.                  

Quelle: Tagespresse 2011       
Abb. Richter Heydner