Menü
Pfeil nach oben
Info Icon
Schließen Icon

2000 = 100 = 15 = 3 = 10 = 2

1999 | 2000 Krawatten, Fassadenfarbe, Fleischerhaken, Gerichtsurteile 1994-2017 | Stahlgerüst 380 x 400 x 400 | Installation zur Dunkelziffer von sexuellen Gewalttäter_innen / In Anlehnung an eine Auswertung von 100 Strafverfahren bzgl. sexueller Gewaltverbrechen an Kindern durch das Institut für Forensische Psychiatrie Berlin, Dr. Renate Volbert, Juni 1993

2000 rosafarbene Krawatten hängen wie Schwerter von einem Gerüst: Krawatten als traditionelles Merkmal des gut gekleideten Mannes – aber auch als Sinnbild der täglichen Bedrohung, der Scheinheiligkeit und des Vertuschens einer sich dahinter verbergenden Gewalt. Rosafarbene Fassadenfarbe klebt an Krawatten. Rosa als Symbol von sowohl enteigneter, als auch fremddefinierter Kinderzeit. Geraubt die Lebendigkeit, das Vertrauen, die Unbefangenheit, Kindheit. Unter den Krawatten liegen 15 Seiten mit Gerichtsurteilen, an dicken Fleischerhaken aufgespießt. Es sind Urteile aus den letzten 20 Jahren, aufgeteilt in Anklage, Urteil und Begründung.

»2000 = 100 = 15 = 3 = 10 = 2« Die Installation und der Titel greifen als zentrales Thema den Täter*innenschutz und unsere Rechtsprechung bei sexualisierter Gewalt gegen Mädchen und Jungen auf. In der Dunkelzifferschätzung von 1:20 sind von 2.000 sexuellen Gewalttäter*innen nur 100 mit einer Anzeige bedroht und nur wenige Täter_innen müssen mit einer Haftstrafe rechnen. Der Titel bezieht sich auf eine Auswertung von 100 Strafverfahren bezüglich sexueller Gewaltverbrechen an Kindern durch das Institut für Forensische Psychiatrie Berlin von Dr. Renate Volbert im Jahr 1993: Dabei wurden von 100 Anzeigen von der Staatsanwaltschaft bereits 85 Fälle im Vorfeld eingestellt, nur 15 Fälle in einem Gerichtsverfahren verhandelt. Davon wurden 3 Beschuldigte freigesprochen, 10 Täter erhielten eine Bewährungsstrafe und lediglich 2 Täter wurden mit einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt.

Nun könnte man glauben, diese Untersuchung ist schon 20 Jahre alt und Gesetzesänderungen hätten diese Gleichung inzwischen verbessert. Eine aktuelle Auswertung aller Anzeigen und Verfahren der Staatsanwaltschaft und der Gerichte im Land Bremen zeigt das Gegenteil: In den Jahren 2010–2012 sind bei der Staatsanwaltschaft Bremen 428 Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (§176 StGB) und schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§176a StGB) eingegangen. Dagegen gab es in demselben Zeitraum nur 52 gerichtliche Verurteilungen, davon 33 mit Strafaussetzung zur Bewährung, 10 Geldstrafen und nur 7 Freiheitsstrafen ohne Bewährung. 93% der Tatverdächtigen waren männlich.

Quelle: Gewalt und Straftaten gegen Kinder im Land Bremen, Bremische Bürgerschaft Drucksache 18/1295, 2014

Die Installation verdeutlicht die Unzulänglichkeit der Strafverfolgung bei sexualisierter Gewalt. Welche Antworten hat unsere Gesellschaft auf die nun schon seit Jahrzehnten bekannte Dunkelziffer, wie wird Recht gesprochen und ausgelegt? Wieso bleiben bis heute die Strafen auffällig am unteren Ende des gesetzlichen Strafrahmens?