Schreiben
Schreiben Sie ihre Geschichte…
Diese Arbeit wächst mit den Erfahrungen, Texten und Gedichten betroffener FLINTAs*.
Sie möchten sich beteiligen… »
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die Welt als Gehilfe, die hatte sich eingestellt –
Feuer und Wasser haben sich vermählt
Und es hat sich am Ende als sinnvoll gestellt
»Sexueller Missbrauch macht sprachlos.
Gemeinsam gegen sexuellen Missbrauch e.V. nennt sich der Verein den ich in Neuburg gegründet habe, um Aufzuklären, aber auch Opfern eine Hilfestellung zu bieten. Welche Geschichte dahinter steckt, möchte ich euch heute erzählen.
Die Erfahrungen die ich machen musste, verschlägt vielen die Sprache. Mein Stiefvater hat mein Vertrauen jahrzehntelang missbraucht, doch nicht nur er, sondern auch dessen „bester Freund“ hat meine ohnehin schon stark beschädigte Seele ein weiteres Mal ausgenutzt. Die Übergriffe des zweiten Peinigers endeten erst vor ein paar Jahren.
Aber der Reihe nach: Als ich acht Jahre alt war, starb mein leiblicher Vater. Von einem Tag auf den anderen war ich alleine mit meiner Mutter, die von der Situation deutlich überfordert war. Ich war traurig, hilflos und einsam. Bald lernte ich so eine Art »Ersatzpapa« kennen, im Hallenbad sprach mich der fremde Mann an und kümmerte sich liebevoll um mich, fast wie ein richtiger Vater. Über mich kam schließlich der Kontakt zu meiner Mutter. Ich weiß heute, dass dies eine Entwicklung war, die geplant war, dass Täter einen Blick haben für Kinder die »Liebe« suchen. Schon ein halbes Jahr nach dem Tod meines Vaters, zog der neue Mann bei uns ein, meiner Mutter tat es gut, wieder einen Mann im Haus zu haben, der sich um alles kümmerte. Das er aber ganz anderes im Sinn hatte, merkte sie nicht, oder wollte es nicht merken. Doch schnell bekam ich seine pädophilen Neigungen zu spüren….
Es begann in der Badewanne, er erklärte mir, dass es jetzt besonders wichtig sei, immer schön sauber zu sein, da mich sonst das Jugendamt in ein Heim stecken würde. Er half mir dabei mich zu waschen und ich sollte das selbige auch bei ihm tun. Da ich tat was er verlangte, auch wenn ich das von meinem Vater nicht so kannte, war der Grundstein gelegt. Jede Nacht kam er in mein Zimmer um sich an mir zu vergehen. Er zeigte mir Horrorfilme, die mir Angst machten, so dass ich nachts oft zu meiner Mutter und ihm ins Bett gekrochen kam, er missbrauchte nicht und meine Mutter schlief seelenruhig daneben. Heute da ich selbst Mama bin, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie nie etwas davon mitbekommen hat. So begann mein „Leidensweg“ bald wurde es zur täglichen Routine. Schule, Essen, Hausaufgaben und dann ihn befriedigen und meist reichte es ihm einmal am Tag nicht. Er war besessen von Sex. Ich kam in die Pubertät und irgendwann war mir sicherlich auch bewusst, dass das was er tut, nicht normal war, aber ich schämte mich und hatte Angst. Er machte mich klein, »Ich sei nicht Frau genug, mein Busen sei zu klein, ich sei nicht hübsch und sollte doch froh sein, ihn zu haben«. Er verlangte, dass ich Freundinnen mit nach Hause bringe und auch an diesen hat er sich vergangen. Warum keine von uns jemals etwas erzählt hat, weiß ich bis heute nicht. Mein Stiefvater hatte einen besten Freund, dieser war oft bei uns und ich fuhr auch oft allein mit ihm mit, wenn er mich irgendwo hinbringen sollte. Da er meinen Stiefvater schon seit klein auf kennt und auch von seiner Neigung wissen musste, da mein Stiefvater bereits ein paar Jahre zuvor wegen sexuellem Missbrauch von Kindern im Gefängnis saß, hoffte ich wohl bei ihm Gehör zu finden. Ich umschrieb das Ganze, doch er verdächtige andere Leute, wie zum Beispiel, den Lehrer, den Vater meiner Freundin ect., dann erzählt er mir wie hübsch ich sei und dass ich ein ganz wunderbares Mädchen wäre und ich war so glücklich und stolz, dass er das sagte, dass ich mich nicht gewehrt habe, als er mich küsste und seine Hand in meine Hose schob, ich lies es zu, dass er mich vergewaltigte. Ich war gerade 13 Jahre alt. Von diesem Tage an mußte ich zwei Männern zur Verfügung stehen. Es war die Wahl zwischen Pest und Cholera, während mein Stiefvater mir immer und immer wieder zu verstehen gab, dass ich nicht »gut« genug sei, dass ich doch froh sein musste, dass er mich »nahm«, war ich für den anderen wunderschön, doch beide wollten nur ihren Spaß. Ich weiß bis heute nicht, wie ich es geschafft habe beide zu ertragen, aber irgendwie habe ich mir eine Überlebensstrategie angeeignet und seltsamerweise hatte ich keine Gefühle, keine Schmerzen, ich würde sagen ich war nicht bei mir während die beiden sich immer und immer wieder an mir vergangen. Von meinem dreizehnten bis zu meinem neunzehnten Lebensjahr »gehörte« ich zwei Männern. Heute bin ich mir sicher, dass beide voneinander wussten. Mit neunzehn zog ich schließlich von zu Hause aus und so wurde mir mein Stiefvater nur noch zum Verhängnis, wenn meine Mutter nicht zu Hause war, wenn ich etwas aus der Wohnung holen wollte. Meine Freundin, die auch über 5 Jahre von ihm missbraucht wurde zeigte ihn 1995 an, ich war gerade mit meinem ersten Kind schwanger. Mein Stiefvater wurde verurteilt, doch ich schwieg bei diesem Prozess, ich erzählte nur einen winzigen Bruchteil dessen, was wirklich geschah. Bis heute verstehe ich nicht, dass weder meine Mutter, noch die Menschen aus seinem Umfeld aussagen mussten. Nachdem mein Stiefvater nun hinter Gittern saß, wo er kurze Zeit drauf auch verstarb, ließ dessen bester Freund trotzdem nicht von mir ab. Er kontrollierte mich auf Schritt und Tritt und war auch in meiner neuen Familie ein gern gesehener Gast. Ich bekam noch weitere drei Kinder und mein Leben spielt in zwei Welten, die eine war meine Kinder und mein Mann und die andere war von ihm bestimmt. Er verlangte tägliche Anrufe, verfolgte mich in seinem Auto und zwang mich immer wieder zu Treffen mit ihm. Besonders schlimm wurde es als er schließlich in Rente ging, von da an war ich nicht mehr sicher. Ich fuhr Umwege nur um ihm nicht zu begegnen. Ich versuchte immer meine Kinder oder meine beste Freundin mit zum Einkaufen zu nehmen, nur um eine Ausrede für ein Treffen zu haben. Das ging manchmal über Wochen gut, doch irgendwann wurde er aggressiv, drohte mir und ich musste mich wieder ihm hingeben um wieder für einige Zeit Ruhe zu haben. So ging das noch über viele Jahre hinweg, bis zu meinem 38. Lebensjahr. Ein Doppelleben von dem niemand etwas erfahren durfte. Eines Tages, ich musste ihn ja jeden Morgen anrufen, war seine Frau am Telefon, ich war so erschrocken und ließ mir schnell eine Ausrede für meinen Anruf einfallen (heute denke ich sie wusste Bescheid auch von seinem Kontrollzwang etc.), sie erzählte mir, dass er einen schlimmen Schlaganfall hatte und im Koma liegt und man nicht wüsste ob er überhaupt überlebte. Es dauerte lange, sehr lange bis ich entspannter wurde, mit jedem Tag, an dem ich nichts von ihm hörte, wurde meine Hoffnung größer, ihn nicht mehr sehen zu müssen. Doch auch heute, fünf Jahre nach seinem Schlaganfall, packt mich an vielen Tagen noch die Angst, dass er mich wieder verfolgen könnte. Ich weiß, dass ich viele Eigenarten, viele Ängste, viele Zwänge nie werde ablegen können und dass ich auch nie vergessen werde, was mir die beiden über fast 30 Jahre lang angetan haben. Aber ich möchte Leben, ich möchte mit meiner Geschichte und mit meiner Arbeit anderen Frauen und Männern zeigen, dass es sich lohnt zu leben, dass man trotz Vergangenheit eine Chance hat glücklich zu sein. Auch ich habe schlechte Tage und werde diese auch immer wieder haben…aber ich möchte Leben und ich möchte Lachen und niemand wird mir je wieder etwas antun, weil ich heute Menschen in meinem Leben habe, die mir zugehört haben, die mich aufgebaut haben und denen ich vertrauen kann. Ich bin nicht mehr alleine, weil ich es geschafft habe zu reden.
Ich weiß nicht, wann du mich das erste Mal
in das Land der Unsicherheit
und Angst brachtest….
seitdem besuchen mich die Gefühle aus dieser Zeit
und Bilder quälen meinen Geist.
Ich habe mich in das Land äußerer Sicherheit begeben
und lebe dort mit inneren verstörten Seelenlandschaften.
Heute pflücke ich Blumen und tröste mich
und
summe der Kleinen ein Lied.
Lange dachte ich, ich bin verrückt.
Heute weiß ich, dass meine Kindheit
ver-rückt war
und ich rücke zurecht
und werde erstmalig sichtbar.
Für IHN:
Er war betrunken hat nur ein Bett gesucht.
Für Mich:
Einbruch in meine Integrität und eine verstörte Kindheit.
Die vielen Kindheitssplitter kann ich nur erahnen,
die Schreckensbilder sind noch nicht ganz,
aber die Gefühle des Grauens sind alle da!
Meine Sicherheit wurde mir gestohlen
und meine innere Alarmanlage springt
täglich unvermittelt an.
April 2004
Alles habe ich mit ihr geteilt,
den Vater, den Liebhaber, die Freier sogar,
zuletzt fast den Tod.
Für sie gab es Zigaretten und Geld,
für mich Schokolade und einen Ball.
Weißt du noch, Mutter?
Ich war ein kleines Hürelein
Die Tante sagte: Herzelein,
mein liebes Herzelein
sei auch imemr schön artig und
mach’ deinen Eltern viel Freude.
Ich hab’ ihnen Freude gemacht,
hab’ alles vergessen.
Meine Erinnerung ist wie ein
dunkler Falter in schwarzer Nacht.
Siehst du ihn nicht?
Da war nichts, sagt meine Mutter.
1991
Sie waren die Sieger
Ich war das Nazikind.
Sie sagten Wörter mit vier …
four letter words
und stießen ihr Geschlecht
in mein Gesicht.
Ob wohl noch manchmal
EIner an mich denkt
im Jenseits oder hier?
SIe waren Offiziere of
His Majesty’s Secret Service
1946 im besetzten Land
Ich war vier.
1991/1992
A: Auf eine Reise habe ich mich gemacht, den Rahmen so gestaltet, dass ich die schützende Maske der Selbsterhaltung fallen lassen konnte, um die Stimme meines Körpers, die Stimme meiner Erinnerungen hören zu können. Mein Ziel war es, mich wiederzufinden, versteckt und verschreckt in diesem Körper irgendwo dort, hinter all den Fassaden. Stumm und verletzt….. mit Schreien ohne Stimme und erstarrt vor Schreck … zu mir wollte ich …… zu mir . Das Gedächtnis meines Körpers ist ein Gruselkabinett und ich gehe auf Geisterfahrt sobald ich zulasse mir zu helfen.
Ich war ausgeliefert, wurde gequält, gedemütigt, erlebte Unfassbares …. aber diese Reise hat auch gezeigt, dass nichts mich auslöschen konnte, nichts konnte mich brechen.
- Nichts -
Mein Körper erinnert sich auch an meine Auswege. Meine Tritte der Abwehr, meine Ausweichbewegungen, meine Flucht in mich. Überlebt habe ich, weil ich mich todgestellt habe, weil ich in den schlimmsten Abgründen einen Beistand hatte, weil… weil…. weil…..
Ich habe mich wiedergefunden, lebend und spüre ein Vertrauen in mich, dass es etwas gibt, dass sich über alles hinweggerettet hat, in mir, durch all diese Abgründe.
——
Auf einem Hügel stehe ich und blicke in die Weite meines Lebens. Grüne, sonnendurchflutete Landschaften, Blumenblüten, lauer Wind der sanft meine Haut umspielt.
Atemschöpfen - ein tiefer Seufzer und zufriedene Gelassenheit könnten sich ausbreiten
- beinahe -
wäre da nicht dieses leise Grollen einem Autobahntunnel gleich. Jenes kaum wahrnehmbare Vibrieren unter meinen Füßen das sich ungestüm aufbläht und anschwillt, sobald ich loslassen, mich niederlassen will.
Dieses Grauen vergangener Zeiten, das mich zur rastlosen, ja mitunter gehetzten Wandergesellin in meinem schönen Leben macht.
Ja, es ist gut dass ich in der Welt bin. Doch musste ich mir dies selbst schaffen.
Von irgendwoher, im Angesicht jenes Schleiers des Ungewissen, der Angst macht, dich lähmt, mich jedoch nicht aufhalten konnte vorwärtszuschreiten, mein Leben abzutrotzen jenem Sog, jenem Grauen, jenem Grollen, das mich drohte fortzureißen.
Auf einem Hügel stehe ich und blicke in die Weite meines Lebens, atme tief auf, sehne mich nach einer Bank, einem Ort, an dem ich bleiben kann, um dieses Leben auch genießen zu können
- ohne -
jenes kaum wahrnehmbare Grollen und Vibrieren, das ewig auf der Lauer liegt.
——
B: So nehme ich dich nun bei der Hand liebe Leserin, lieber Leser. Wir treten gemeinsam eine Reise an, einen Weg. Begleite mich durch das Wirr Warr meines Weges zu mir selbst. Im Zick Zack Kurs geht es durch die Abgründe meiner Kindheit, die Erfahrungen von therapeutischen Prozessen, heilenden Träumen, eine Schnitzeljagd deren Preis ein wunderbarer Schatz ist.
——
Der Lichtstrahl vom Flur teilt das Dämmrige-Dunkel unseres Zimmers. Brummend ist der Kühlschrank zu hören. Meine Augen blinzeln im kuscheligen Schlaf und Schritte, Schritte…..
Sie gehen zu deinem Bett und heben dich sachte auf, deine Decke schlägt leise-dumpf an den Kleiderschrank. Dann bist du weg… weg mit ihnen in das Nichts.
Leise schleiche ich rüber zu deinem Bett, rieche dich und spüre deine Wärme auf der Matratze. Dumpfe Angst schleicht in mir hoch. Meine Füße sind ganz weich-wackelig. In deine Decke eingehüllt weine ich leise, weine weil Du…. weil Du…. und ich dich weder schützen noch wärmen kann. In meinen Armen möchte ich dich halten, halten und deinen Kopf möchte ich spüren und dein Haar, das meine Nase kitzelt. Doch weg bist Du weg im Nichts und ein Loch ist in meinem Bauch nicht dein Rücken. Tränen fallen auf dein Kissen. Mein Rücken spürt nur allzu gut diese Härte der Platte, die Du jetzt spüren wirst, die Kälte, die die bloßen Beine hoch kriecht - mehr weiß ich in diesem Moment auch nicht- keine Erinnerung- nur, dass Du dort bist und irgendwann wieder zurück sein wirst. Leise wimmernd wirst Du in deinem Bett liegen und mit dem Nagel den Putz unter der Tapete kratzen. Zu meinem Bett schleiche ich zurück, leise, sonst merken sie dass ich wach war. Heute hat es dich erwischt, heute dich…..
Im Licht des Tages wird Alles anders sein. Kinderalltag
Eine Hand, eine große Hand packte plötzlich mein Fußgelenk und zieht das Bein leicht schräg nach oben. Alles unter mir ist weich, meine Tagesdecke, darunter das Bettzeug. Meine Strumpfhose aus beige Wolle wird nach unten geschoben, ich will sie hochziehen, aber dazu muss ich unter mein Wollkleid fassen und den Rock hochheben. Das will ich nicht, weil er mich ansieht und sich über mich beugt. Angst habe ich und etwas ist komisch.
So liege ich da, der Gummi drückt meine Oberschenkel und ich sehe auf den cremefarbenen Rock. Mein Hinterkopf wird heiß und die Hände pulsieren. Meine Beine wollen weg, doch sie können nicht. Acht Jahre bin ich alt. Schreien will ich, doch es geht nicht. Kalt, kalt und hart schiebt sich etwas unter meinen Rock. Kalt und hart, etwas kratzig, kalt wie Metall. Meine Beine wollen aus der engen Strumpfhose raus. Heiß, heiß… ich schwitze, bekomme kaum Luft. Etwas drückt meinen Brustkorb. Kalt, kalt und hart ist das was sich in mir bewegt.. in mir… in mir. Es ist ein Finger, ein großer Finger. Mir ist so heiß, ich schwitze, schwitze an den Beinen, die Strumpfhose juckt, meine Arme zerren die Naht der Achseln. Ich strampel, winde mich, doch es geht nicht weg das Harte dort.
Er geht nicht weg, sondern sinkt zu mir. Eine Hand hält meinen Kopf. Zischen, zischen. Der Daumen schiebt sich in meinen Mund von der Seite. Die Finger drücken meine Ohren und mein linkes Auge. Mein Wimmern erstickt, mein Kopf dröhnt. Weg will ich, nur weg. Unter mir sackt alles nach unten, denn sein Gewicht drückt übermächtig. Etwas schiebt sich in meinen Mund, alles ist riesig, fleischig fett, wabbelig vor meinem Gesicht. Meine Hände versuchen etwas zu fassen, es wegzustoßen, doch ich kann nicht. Der linke Arm ist unter ihm begraben, der andere greift ins Nichts. Meine Augen sind wie blind, nur sein Zischen, Zischen, die dumpfen Laute, dröhnend, drohend, erfüllen die Luft.
So erwachte ich, als er auf einmal an meinem Bett war. In die zarten Sonnenstrahlen habe ich geblinzelt als er sich zu mir beugte. Sanft geträumt hatte ich, das Buch lag noch auf meinem Bauch, an einem warmen Wintertag voller zarter Sonnenstrahlen mit Blick auf den Himmel.
(Auszüge aus Schriften eines Therapieprozesses von 26 Stunden)
… das Gedächtnis meines Körpers, seine Stimme die mir Dinge zeigt, die ich selbst erlebt habe, aber nicht begreifen kann und nicht mehr weiß. Ja, Körpertherapie das ist wie der »Jumping Jack aus der Dose«. Ich weiß nur von Ketten, fixierten Kopf und Füßen – von Fußsohlen die sich komisch anfühlen. ….. In mir steigen Bilder auf, ein Schuppen wie eine Werkstatt, das Fenster, die Werkbank mit all dem Krimskrams, die große Tonne mitten im Raum. All das kommt aus der Versenkung nach oben, wird wieder Wirklichkeit. Das grelle Neonlicht und die Gesprächsfetzen deren Sinn ich nicht erfasse werden immer klarer. Drei Männer sind es, eine Stimme ist mir vertraut – Nein, das will ich noch nicht begreifen, obwohl mein Bewusstsein das Unfassbare ahnt. Einer… ist mit dir verwandt. Einer hält dich von hinten fest ……
Dann….. fange ich an die Erinnerung ganz zuzulassen. Die Tacker-Maschine, das Metall in den Füßen, die Schreie, der Schmerz…. Ich spüre wieder die Stellen an der Fußsohle wo sie reingeschossen wurden….. Nein, ich will nicht dass mir so etwas passiert ist. Absurd, absurd. Doch ich liege wieder in diesem Schuppen, habe meine Schreie im Ohr, mein Wimmern, den Knebel im Mund den ich gespürt habe. Sie haben sie erhitzt und meine Füße schreien, schreien und flüchten….. Ein Bild steigt auf, das will ich nicht zulassen… wie sie mich auf die Füße stellen. Alles ist schwarz vor Schmerz – Meine Füße finden den Boden nicht mehr, die Zehen hängen unter den Kniescheiben. Der Schmerz übersteigt Alles…..
11 oder 10 war ich, 11 oder 10 noch keine Frau, denn als ich damals an mir heruntersah, waren keine Haare und auch keine Brüste, nur ein nackter Kinderkörper und Blut… Blut… Blut. Ich spüre die Mitte meines Körpers nicht mehr, nur die Füße die brennen so. Diese Stimme – er ist es – mein Stiefvater – er war es, der mich an den Schultern und am Hals festgehalten hat, während an meinen fixierten Füßen die Heftklammern und Stifte…. Er war es, den ich höre, als ich gepackt und auf die Füße gestellt werde. Da ist er der Schrei, der Mädchenschrei…… alle Heftklammern stecken noch drin…
»So, mal sehen was nun von deinem vorlauten Mundwerk noch übrig ist« - Da ist sie, seine Stimme und er, er – vor mir – bevor alles schwarz wird. Kein Mitleid, keines. Nicht als ich auf die Toilette wollte, nicht als ich wimmere während sie mich hochzogen und …..
Keines….. kein Mitleid
Auf einmal ist alles anders.
Das Rauschen im Kopf und das Gefühl, die Zeit ist ein Brei
Ein Brei der vorüberfließt, vorüberfließt an mir
mit Allem was passiert.
Von Ferne sehe ich euch, was ihr tut.
Schmerz spüre ich nicht,
doch das Rauschen im Kopf
ist wie das pfeifende Echo der Schreie in meinem Kinderkörper
die ich von Weite höre
in meinem Kopf der zur Holzkugel geworden ist.
Das sehende Haupt eines
Streichholzschachtelmännchens
Das ich nun bin
Auf einmal
Nein, ich will es so nicht mehr, jenen Moment, wenn du begreifst, dass du mal wieder (all deiner Abwehr zum Trotz) unterliegst, unterliegst und ausgeliefert bist. Jener Moment, wenn die Luft in dir krampft, dein Atem hinter dich fällt und du in dir zurückweichst und dann…. Dann das kommt, was mit den Worten Qual, Leid, Grausamkeit kaum zu fassen ist. Wozu auch. Doch ich möchte zurück zu jenem Moment, jenem Ablauf und die Karten neu mischen.
Hinter jenes Mädchen 11, vielleicht 12 Jahre alt, möchte ich mich stellen. Gemeinsam stark sein möchte ich mit ihr und den Arm zurückwuchten. Diesen erwachsenen behaarten kraftvollen Arm der sie, der mich damals gegen die Schranktüren des alten Kleiderschrankes im Kinderzimmer drückte. Weghauen möchte ich ihn, diesen Arm quer, der quer über den Hals die Schulter packte und mich so gefangen hielt. Weg, weg damit. Wegschlagen möchte ich diesen verfluchten Lötkolben, davon schleudern und lauthals brüllen
So nicht – So nicht
Weil sie keinen Laut von sich gab, damals in jenem Moment…. mit dem Knebel im Mund. Umschreiben werde ich diese Geschichte. Bei ihr werde ich sein. Ihren Atem werde ich zurückholen, den Krampf in ihrer Brust lösen – doch da spürte sie nichts mehr (so scheint es). Ihre Füße werde ich aus den Fesseln befreien, die sie am Schrankbein festhielten während der Lötkolben wieder und wieder jenes »zischend – brutzelnde« Geräusch erzeugte. Nein weg damit, auch wenn die Ohren nichts vergessen und auch die Füße nie vergaßen. Nie vergessen konnten, weil der Zug der Fesseln mich zur Schiffsbrüchigen in mir selbst machte. Nein, Filmspule zurück und zuschlagen, draufhauen, weg mit Ihnen. Diesen Kloß im Hals, jenen Krampf - herauswürgen will ich ihn, herausbrüllen mit einem Kotzeimer so groß wie eine Badewanne. Raus mit dir du Giftschleim, der sich all die Jahre in mir zu einem Klumpen alter gammeliger Lappen verhärtet hat. Stinkend und faulig. Das Leben hast Du mir vergällt, vergällt weil ich nie mehr ohne Angst war. Angst vor jenem Moment…. wo ich begreife …. Jetzt …. Unterliege ich , bin ausgeliefert…
Und wenn ich dich Giftbrocken dann endlich heraushabe, nehme ich dich in meine Hand und sage: “Aha, Du bist das also!« Zischend wie eine Schlange wirst du von mir hören »Geh zu den Peinigern, da gehörst Du hin!« und mit einem Blick werde ich dich versehen, der selbst dem letzten Schüler noch Respekt einflößt. Doch bevor Du Quälgeist die Chance zur Flucht erhälst, zwicke ich dich ordentlich in die Seite bis Du quietschst und quickst. Dann werde ich dir nachblicken wie Du mit hastigen weiten Sprüngen das Weite suchst und meinem Blickfeld entschwindest.
Aufatmen werde ich dann, endlich aufatmen und leicht werden. Jene Taubheit wird vorübersein, die meinen Körper gefangen hielt. Das Leben wird leichter, lockerer sein. Ja, eines Tages kotze ich dich heraus und schicke dich fort. Schön wird es sein, jener Moment, der so ganz anders ist als die bisherigen.
Nimm dich vor mir in Acht
Hüte dich davor, in mir ein leichtes Opfer zu wähnen
Weil meine Gestalt so zart, zart und verletzlich erscheint
Seit mein Körper zeigt, wie ich bin
War, hinter all den Fassaden
Hüte, hüte dich vor mir
schau in meine Augen, bevor du mir zu nahetrittst
mich packst in dem Vorsatz, mir wehzutun
dort, dort, wo es schon
so Viele vor dir getan haben
Die Witterung meiner verborgenen Angst lockt dich
doch
hüte, hüte dich vor deinem Irrtum
denn wenn Du in meine Augen blickst erkennst Du
ein Blitzen, das zum Flammenwerfer wird
hinter all der Angst, Angst vor dir
Angst vor einer Wiederholung dessen, was ich erlebt
Hüte, hüte dich
denn eine Bestie schlummert in mir
halb dösend, halb auf der Lauer
ein ewiges »Hab Acht« und »Nie wieder«
weil ich leben will, leben wie die Anderen, die leben, die Lachen
und
leben – leben
Hüte, hüte dich davor, sie herauszulocken
Denn sie wird dich anspringen, zerfetzen, zerfleischen
Für all, für all das Leid, den Schmerz
Denn es gibt ein
Nie wieder
Das dich fortschleudern wird
Hüte, hüte dich Anonymus
Hüte dich vor mir
Nimm dich in Acht
——
»Los! Hinsetzen«, höre ich ihre ungehaltene Stimme, »Arme auflegen, Hände offen« zischt sie das Kommando. Sitzend am Tisch rutscht mir das Gesicht in mir weg, denn ich weiß nur zu genau was jetzt folgt. Übel ist mir, Angst und Panik steigt in mir auf. Weg, bloß weg… doch der Ablauf nimmt seinem gewohnten Gang. Meine Augen beobachten die Bewegung der Arme und Hände. Ihre Stimme thront über mir, nimmt mich mit ihr Macht gefangen – meine Arme und Hände werden zu Überläufern die sich ergeben und mich ausliefern, die Befehle befolgen, unerbittlich.
»So«, sagt sie während von ihr eine heiße große Kartoffel auf die Handflächen gelegt wird, »hoch halten bis ich, »Stopp sage« ertönt es, doch das registriere ich kaum noch. Fliehen, fliehen in meinen Körper…. Doch meine Hände muss ich kontrollieren. Mein Wimmern ist zu hören, bloß nicht schreien, bloß nicht schreien und halte sie fest, halte sie fest, versucht mein Gehirn in mir zu steuern während der Schmerz grell von den Nasenflügeln bis zur Schädeldecke explodiert, über den Rücken galoppiert- halten, halten – Meine Beine entladen was meine Hand nicht darf. Sie zucken und winden sich. Wimmern und warten, warten auf das »Stopp«, das erlösende »Stopp« das….
Plumps, höre ich im Orkan meiner Gefühle, ein dumpfes Plumps.
»Nun, dann auf ein Neues, bis Du lernst auf das zu hören, was ich dir sage«. Tränen laufen über mein Gesicht in dieser Spielpause jener Grausamkeit. Meine Arme und Hände verraten mich erneut. Neue Runde… »Und mach nicht wieder in die Hose, wie beim letzten Mal.« Zwischen Fluchtimpuls und verlangter Kontrolle der Hände tobt in mir ein Gummizug, der durch mich hindurch überstreckt wird und in der Mitte bleibt nichts als ein stummer Schrei. Alles ist still- außer meinem Wimmer, das keine Gnade findet.
Dann…. endlich das »Stopp«.
Ich rase zur Spüle, zum kalten Wasser. Meine Beine tragen mich kaum. Wasser, Wasser, die Hände sind taub, der Schmerz pocht. So stehe ich da, verbogen wie ein Wackeldraht und über mein tränennasses Gesicht läuft meine Nase, doch ich kann es nicht abwischen. Wie von Ferne dringt ihre Stimme zu mir. Der Topfdeckel klappert, nachdem sie die Kartoffel wieder ins Wasser geworfen hatte. »Geh dein Gesicht waschen, gleich gibt es Essen.« Folgsam, wie in Trance verlässt ihre abgerichtete kleine Tochter die Küche Richtung Bad.
Kurz darauf erlebe ich mich wieder in schweigender Runde am Tisch. »Was ist denn passiert? Du kannst ja kaum dein Besteck halten… hast du dich mal wieder verbrüht? …«, höre ich ihre fürsorglich – mütterliche Stimme über den Tisch herüber. Jetzt wie vorher sehen meine Augen sie nicht. Schweigen… Schweigen, mein Leid, der stumme Schrei in mir, den ich selbst schon erstickt habe. Keine Anteilnahme der Anderen am Tisch. Nur zur Kenntnis genommen wird, dass mit mir mal wieder etwas nicht stimmt. Mehr nicht.
Einzig das Bitzeln meiner Nasenflügel funkt unnachgiebig Signale in die Welt, doch damals gab es keine Empfangsgeräte, kein Gehör konnten sie finden… Ihr Signal, dass Leid, Grausamkeit und ein Unrecht geschehen ist - diese Stimme - erst heute findet sich das Radio die dem Geschehenem Sprache verleiht.
Erzählt »Ja, es war ein Unrecht das hier geschah…«
Ja, das magst du,
das findest du schön.
Warum sagt er das?
Was macht er da?
Nein, das mag ich nicht,
wann hört er auf?
Warum fühlt sich das jetzt gut an,
und ich mag es trotzdem nicht?
Warum verstumme ich,
ganz tief in mir?
Nein, das mag ich nicht,
wann hört er auf?
Ich kann nichts sagen.
Wenn er’s nicht merkt,
helfen keine Worte.
Ich bin fünf.
Okt. 2014
*****************
Dein ekliger Atem ist
immer zu nah
Ein Fisch schnappt nach Luft
Bin ich ein Fisch?
Kleine Mädchen sind keine Fische.
Sie brauchen Luft.
Die Welt dreht sich,
warum so schnell jetzt?
Alles ist so weit weg,
weit weg.
So geht es,
so halt ich’s aus.
Okt. 2014
*****************
Deine Hände sind so eklig.
Ach, Papa.
So eklig.
Mehr denk ich nicht,
mehr geht nicht.
Dicke Finger,
nicht weiterdenken,
nur ekeln,
das geht.
Da geht er und die Hose
schlabbert um seinen Hintern.
So eklig.
Mehr denk ich nicht,
mehr geht nicht.
Schwabbeliger Bauch,
nicht weiterdenken,
nur ekeln,
das geht.
Okt. 2014
*****************
Nein,
du hast dir keine Mühe gegeben,
keine Entschuldigung.
Ach was.
Keine Reue.
Ach was.
Vergessen wir die hysterische Kuh.
Jetzt gibt’s ne neue Familie.
Frauchen ist brav und guckt
in keine
dunkle Ecke.
Ahnungslose Jungs.
Wer will schon wissen, warum
deine Tochter
verschwunden ist.
Was du ihnen wohl erzählt hast?
All deine Verwandten.
Hat überhaupt mal jemand
gefragt?
Okt. 2014
*****************
Der Held, der Retter,
der engagierte Helfer.
Nein, Jekyll & Hyde.
Das Stück kann ich nicht ertragen,
denn ich kenne ihn zu gut.
Oh, er wird bewundert
und geliebt von vielen.
Ja, Jekyll & Hyde.
Das Stück kann ich nicht ertragen,
denn ich kenne ihn zu gut.
Zeitungen schreiben
über sein Werk, seine Verdienste.
Blind vor Jekyll & Hyde.
Das Stück kann ich nicht ertragen,
denn ich kenne ihn zu gut.
Okt. 2014
Anna Pfifferling (Pseudonoym)
Ich habe einen Wunsch
Aber kein Glück
Deshalb
Brauche ich ein Kleeblatt
Ein vierblättriges natürlich
Denn die
Das weiß jedes Kind
Und ich bin schließlich schon vier
Bringen Glück
Und dann
Geht vielleicht
Mein Wunsch in Erfüllung
Vielleicht
Mit ein bisschen Glück
Und einem Kleeblatt
Also krieche ich
Auf allen Vieren
Durch die Wiese
Und suche
Kleeblätter
Und finde keine
Das ist nicht fair
Mein Wunsch
Muss doch wahr werden
Ich wünsche mir
Doch nichts Unmögliches
Will kein Pferd
Bin schon zu oft geritten
Will keine Fee mit
Drei Wünschen
Habe nur einen
Einen Wunsch
Mein Kleidchen ist schon
Ganz schmutzig
Aber ich finde auf der Wiese
Nur dreiblättrige Kleeblätter
Das ist nicht fair
Jeder findet vierblättrige Kleeblätter
Nur ich nicht
Wo ich doch einen Wunsch hätte
Der muss bitte bitte wahr werden
Am Ende der Wiese dann endlich
Eines
Endlich!
Ein vierblättriges
Kleeblatt
Und mein Wunsch
Ich zupfe es raus
Sehe es anSchließe die Augen
Sonst bringt es nichts
Auch das weiß
Jedes Kind
Und ich bin schließlich
Schon so groß
Wünsche mir also
Bitte bitte
Wünsche ich
Bitte steck dein Ding nicht mehr in mich rein.
Wie bescheuert
Kann man eigentlich sein?
Sanne, Freiburg, 25. Juni 2001
Ich habe einen Wunsch
Aber kein Glück
Deshalb
Brauche ich ein Kleeblatt
Ein vierblättriges natürlich
Denn die
niemals
vergessen ist der Tag
als es geschah
gebrannt
in meine Seele
gebrannt
in mein Herz
gelöscht
aus der Erinnerung
Doch
dann und wann
und
jeden Tag ein wenig mehr
kehrt zurück
die Zeit
als die Welt zerbrach
muss zurück
an den Ort
in das Dunkel
Vergessen und Heilung
kann es nicht geben
niemals
nichts ganz
wir müssen
zurück
um unsere Kindheit
vielleicht
und eines Tages
noch zu retten
P e t r a M im November 1999
*************
Erst
schnell benutzt
dann weggeschmissen
so ist das halt
ein Stück Papier
ist teurer wert
wen
kümmert schon
mein Schmerz
die Seele brennt und ruft
heute
hält
der selbstverfügte Schmerz lebendig
wie widersinnig
heile mich
berühre mich
bitte
wie viele Opfer
müssen sein
um ganz zu werden
ich war
doch schon
ein Wunder
ein Heer von Freundschaft
ist
der Tropfen
heißer Stein
undankbar
ich weiß
Beweise sind
was zählt
im Leben
P e t r a M im April 2000
*************
I
Milch
von deinem Blute
Durst
und ungestillte Sucht
die Wasser
deines Körpers
netzen
meine Sinne nicht
satt geworden
bin ich nie
Kind und Mutter
die Welt
liess sie allein
sie
trägt das gleiche Mal
wie kann
ich
da noch lieben
II
Seele schreit
du hast getötet
ohne
meinen Körper
auszulöschen
verdammte Qual
wie hasse
ich mein Wissen
P e t r a M im Juni 2000
*************
Verkrüppelt
und ach ja
verkümmert
Äste alter Baum
tausend Jahre schon gelebt
und eigentlich erst drei
da war sie
einmal schon gestorben
so jung
unglaublich alt
der Faden ist verloren
Seele aus der Welt gefallen
Blut in Tropfen
rot wird schwarz
Lebenssaft ist
Dasein und Rechtfertigung
niemand
nichts
sieht all die Schwärze
P e t r a M im Juli 2000
Bist du das? - « Nein, du träumst, schlaf weiter.«
»Du mußt jetzt aufhören damit, sie ist zu alt, sie merkt sich das!«
»Du mußt die Augen zu machen, dann sieht dich keiner.«
»Das darfst du nicht sagen!«
- Mutter ich habe die Gewalt gesehen!
»Mach die Augen zu und schlaf jetzt.«
- Mutter, ich habe die Gewalt gesehen,…
»iß dein Frühstück, du kommst zu spät zur Schule!«
- Mutter, ich, ich…
»beeil dich, die Suppe wird kalt!«
- Mutter…
»Los jetzt, wir müssen weitergehen!«
- ich, ich Mutter, ich, ich…
… habe gesehen, geschmeckt, gerochen, gefühlt, geatmet, geschluckt - Gewalt Mutter…
»beeil dich, du sollst dich beeilen hab ich gesagt
Wo warst Du, Mutter?!
Wo warst Du, Mutter, wenn er nachts zu mir kam
um sich an mir zu vergehen?!
Wo warst Du, Mutter, wenn ich in den Nächten erwachte, von Alpträumen gequält oder mich irgendwo, nicht wissend wo, im Raum befindend?!
Wo warst Du, Mutter, wenn ich verstört aus meinem Bett stieg am Morgen?!
Wo warst Du, Mutter, wenn ich keinen Appetit hatte beim Essen?!
Wo warst Du, Mutter, wenn ich mich krümmte vor Schmerzen?!
Und nebenbei: hast Du nicht auch meine Windeln gewechselt /
meine Wäsche gewaschen?!
Wo warst Du, Mutter,
wenn ich von meinem „Vater“ als „verrückt“ bezeichnet wurde?!
Wo warst Du, Mutter, als ich mich als Schutz-Reaktion innerlich immer mehr abgeschirmt habe - vor Euch?!
Wo warst Du, Mutter, als ich in den Jahren nach meinem Verkehrsunfall - der mir das bisschen Erdung, was mir blieb, auch noch genommen hat - Zwangsgedanken und Todesängste hatte?!
Wo warst Du, Mutter, wenn er mit Verhaltensmaßregelungen versuchte,
mich, meine Brüder und auch Dich unter Kontrolle zu bringen, damit auch ja nichts auffliegt?!
Doch Du willst mir erzählen, Mutter, das alles hättest du nicht bemerkt?!!
Und wo bist Du jetzt, Mutter,
nach fast 30 Jahren, wo du „endlich“ weißt, was geschehen ist?
Anja K. August 2008
April 2005 / 24 Jahre danach
August 2008 / 27 Jahre danach
An: Prof. Dr. Dr. K.
Von: Anja K.
Hiermit klage ich dich, meinen sogenannten Vater, für Folgendes an:
- dass Du mich sexuell missbraucht hast, was begann als ich noch ein Kleinkind war und bis etwa zu meinem 14. Lebensjahr andauerte
- dass Du durch die Übergriffe in mir Gefühle (=sexuelle Erregung) verursacht hast, mit denen ich überhaupt nicht umgehen konnte
- dass Du durch die Übergriffe bei mir ebenso Schmerz, Übelkeit, Schwindel u.a. Unwohlsein verursacht hast, was ich noch nicht einmal mitteilen konnte
- dass Du die Übergriffe so durchgeführt hast, dass ich mich möglichst schlecht daran erinnern kann: Nachts im Halbschlaf, vielleicht noch durch ein zusätzliches Hilfsmittel manipuliert (stechend-süßlicher Geruch in meinen Flashbacks); zurück blieben komische, peinliche Gefühle, Schmerz, Übelkeit, Scham, Schuldgefühl
- dass ich mich als Folge der Übergriffe in mich zurückgezogen habe und körperliches Leid für mich behalten sowie seelische Probleme mit mir selber ausgemacht habe: völlige innere Abkapselung, um Fürsorge betrogen
- dass durch die ständige Zurückhaltung von mir Eigenem die Auslebung und Entwicklung meiner Persönlichkeit stark gestört wurde
- dass die Entwicklung meiner kindlichen Persönlichkeit durch auferlegte Regeln, Prinzipien und Verhaltensmaßregelungen noch zusätzlich unterdrückt wurde
- dass in unserer „Familie“ immer „heile Welt“ gespielt wurde und meine Probleme und Verhaltensauffälligkeiten auf „Verrücktsein“ meinerseits geschoben wurde, anstatt das Verrückt-Sein der Familie bzw. meines Vaters zu beleuchten
- dass ich immer ein Doppelleben führen musste: nach außen normal sein dürfend, wie alle anderen, in der „Familie“ aber sofort wieder in meine Rolle verfallend, „verrückt-seiend“, meine Rechte auf Leben verlierend
- dass ich mir oft „minderwertig“ vorkommen musste gegenüber vielen Altersgenossen
- dass ich keine Eltern hatte, in deren Arme ich mich hätte fallen lassen können
- dass ich nach dem Unfall, den ich mit 13 Jahren hatte, aufgrund der Vorbelastung und des Nicht-Aufgefangen-Werdens schwere psychische Probleme mit Zwangsvorstellungen, Todesängsten, Zwangshandlungen … bekam und dass diese besonders schwere Zeit in meinem Leben mir Jahre an Bildungsrückstand beschert hat, da ich fast ganz in meiner eigenen Welt lebte
- dass ich eine Zeit lang unter so großen Angstzuständen und Panikattacken leiden musste, dass ich kaum das Haus verlassen konnte
- dass ich Jahrzehnte danach noch oft im Schlaf schrie, am Daumen lutschte und selten auch ins Bett nässte
- dass ich Jahrzehnte danach noch Defizite habe, die ihren Ausgleich in hospitalistischen Bewegungen, Daumenlutschen, … suchen
- dass ich heute noch keine Wurzeln habe, da meine Kindheit in meiner Erinnerung wie ein Alptraum im Nebel verschwindet
- dass ich noch immer beeinträchtigt bin beim Ausleben meiner sexuellen Bedürfnisse
- dass ich immer noch daran arbeite, beruflich auf eigenen Füßen zu steh
Okt. 2005
Sie war betrunken. 80%iger Strohrum. Sie streichelte mir über die Brust. Ihre Hände und Finger berührten mich am ganzen Körper. Sie stieß mir ihre Mittelfinger in den Unterleib. Ich hörte auf zu atmen. Ich war absolut steif - wie betäubt. Ich trat zum ersten Mal aus meinem Körper aus.
Ein Teil in mir hatte aber auch Gefallen an der Berührung. Bis heute verfolgt mich diese Ambivalenz in meinem Sexualleben.
Ich schlafe mit Frauen und hatte lange Zweifel daran, ob ich den Übergriff durch meine Mutter wiederhole. Vertrauen und Sexualität sind bis heute gestört. Ich kann in keiner Liebesbeziehung bleiben. Ständig fange ich an zu übertragen. Bekomme Panik - habe Schmerzen - im Körper und der Seele. Dann die bange Frage: Wieso kann eine Hetera weiter mit Männern schlafen, wenn sie vom Vater, Bruder, Onkel vergewaltigt wurde? Ist das das selbe wie bei mir?
Ich möchte mich hier und heute von diesem »Fluch« befreien.
H. September 2004
Missbrauch in der Kindheit
von alten Männern unangenehm `geherzt´
vom Cousin missbraucht
mein Körper benutzt für ihre Bedürfnisse
mein Empfinden, mein Selbstbild seitdem zerstört
unangenehme Erinnerungen, die Unmöglichkeit darüber zu sprechen - zu oft fehlen mir die Worte, weine Tränen - und auch ich würde heute gerne wissen, welche ich hätte gewesen sein können, hätte Mann das damals nicht mit mir gemacht.
Alex, Köln 21.09.04
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